Integriertes Risiko- und Chancenmanagement im Gesundheitswesen

19. Feb 2025

Der Artikel untersucht die Integration von Risiko- und Chancenmanagement im Gesundheitswesen zur Verbesserung der Patientensicherheit und organisatorischen Entwicklung gemäß den aktuellen ISO-Normen und gesetzlichen Anforderungen.

Risiken erkennen und bewältigen, Chancen sehen und nutzen

In den Einrichtungen des Gesundheitswesens wird aufgrund gesetzlicher und normativer Forderungen das vorhandene Managementsystem durch die Implementierung weiterer Disziplinen, wie beispielsweise dem Risiko- und Chancenmanagement (RCM), Information Security Management (ISM) oder Compliance Management (CM) zu einem integrierten Managementsystem (IMS) umfunktioniert. Treiber hierfür sind hauptsächlich die stetig zunehmenden Forderungen von Seiten des Gesetzgebers und die damit im Zusammenhang stehenden Urteile wegen Verfehlungen oder nichtvorhandensein entsprechender Maßnahmen.

Auch alle modernen Management-Modelle im Gesundheitswesen, wie der KTQ-Katalog oder die internationalen Normen für Managementsysteme (ISO 9001, ISO 15189 und ISO 17025) beinhalten dahin gehende Forderungen [2, 3, 4 und 5]. Im Hinblick auf die Patientensicherheit ist dies Ganz im Sinne des Gesetzgebers, kommt es doch dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013 zu Gute, denn die Maßnahmen konzentrieren sich im Gesundheitswesen hauptsächlich auf die kontinuierliche Sicherung und Verbesserung der Patientenversorgung. Einen Schwerpunkt bilden dabei Maßnahmen des Risiko- und Chancenmanagements zur Sicherstellung der Patientensicherheit. Vorrangig hat dabei das Management von Risiken in den letzten Jahren einen enormen Stellenwert in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung eingenommen.

Neben den die Patientensicherheit gefährdenden Risiken darf aber auch das Potenzial im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Organisationsentwicklung, welches durch abgewogenes Risiko- und Chancenmanagement entfaltet werden kann, nicht unbeachtet bleiben. Spielte die Betrachtung von Chancen bislang in den genannten Vorgaben sowie in der Praxis auch nur eine geringe Rolle, so gewinnt die Erkenntnis, dass in einer Welt, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) geprägt ist, die Fähigkeit Chancen aktiv zu nutzen, zunehmend an Bedeutung. Denn nicht nur das Managen von Risiken, sondern auch die frühzeitige Erkennung und Wahrnehmung von Chancen sind entscheidend für den Erfolg und die Widerstandsfähigkeit von Organisationen des Gesundheitswesens [6]. Diese Erkenntnis führt dazu, dass mittlerweile auch Chancenmanagement zu den Top-Themen in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensführung gezählt werden darf.

Eine Vorreiterstellung nimmt dabei bereits heute die internationale Norm ISO 15189 „Medizinische Laboratorien – Anforderungen an die Qualität und Kompetenz“ mit ihrer Revision im Jahr 2022 und der Veröffentlichung in Deutschland 2023 ein. Diese beinhaltet auch Anforderungen an medizinische Laboratorien für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen zum Umgang mit Chancen zur Verbesserung. Es ist davon auszugehen, dass die im Jahr 2026 erwartete neue Version der internationalen Managementnorm ISO 9001 dem folgt und sich verstärkt dem Management von Chancen widmen wird. Erste Ansätze hierzu wurden bereits aus der ISO-Arbeitsgruppe TC 176/SC 1/WG 2 geäußert: „Die Betrachtung von Chancen kommt in der Praxis viel zu kurz, ist aber in dem derzeitigen Umfeld – Stichwort: VUKA-Welt – ebenso wichtig wie die Betrachtung von Risiken“ [7]. Ob sich allerdings die im „Risk Concept Paper“ der Task Group vorgeschlagene Entkopplung des risikobasierten Denkens von einem chancenbasierten Denken durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Festzuhalten bleibt, dass der Umgang mit Risiken und Chancen ein unverzichtbarer Teil des unternehmerischen Handelns darstellt und somit Führungsaufgabe ist.

Bei der Ausbildung künftiger Führungskräfte gehört deshalb auch das Management von Risiken und Chancen zum integralen Bestandteil. Dabei dient als gemeinsame Grundlage ein prozessorientiertes Vorgehen, zumal die Definition von „Risiko“ sowohl die negative (Bedrohung) als auch die positive (Chance) Sichtweise beinhaltet und somit im Kernprozess des Risikomanagements nach ISO 31000 beinhaltet ist. Auch die Überlegungen einer Führungskraft hinsichtlich einer sich bietenden Chance zur Verbesserung der Patientenversorgung, müssen durch anerkannte Methoden zur Entscheidungsfindung unterstützt werden, um zwischen Chancenwahrnehmung und möglicherweise entstehende negative Auswirkungen für das Unternehmen abzuwägen.

Die bei der DELAB angebotenen Fachseminare „Risikomanagement“ sind grundsätzlich prozessorientiert ausgerichtet und berücksichtigen selbstverständlich auch die Identifikation und Wahrnehmung von Chancen. In Anlehnung an die Normen für Risikomanagement, ISO 31000 [8] und ÖNORM D 4900 [9], umfassen sie die Erarbeitung einer Strategie, die Definition des eigentlichen Risiko- und Chancenmanagementprozess von der Identifikation von Risiken und Chancen bis zur Risikobewältigung bzw. Chancenwahrnehmung, die Katalogisierung und die systematische Überwachung und Verbesserung des Systems (Bild 1).

Bild 1: Darstellung eines Risiko- und Chancenmanagementsystems in Anlehnung an die ISO 31000 und ÖNORM D 4900.

Wie könnte der Prozess des Chancenmanagements in der Praxis aussehen?

Um dem derzeit noch traurigen Dasein von Chancen entgegenzuwirken, ist ein Perspektivenwechsel erforderlich – nicht jedes Geschehnis von etwas unerwartetem ist als Risiko zu sehen. Für die Verbesserung der Patientenversorgung ist es nicht nur zielführend, Risiken zu vermeiden, es ist mindestens genauso zielführend, Chancen aktiv zu nutzen. Hierzu brauchen wir nur die ohnehin bekannten Methoden und Tools zur Risikobetrachtung einzusetzen, um Potenziale für Verbesserungen zu erkennen und zu bewerten.

Einen Ansatz für chancenorientiertes Denken bietet die Analyse und Bewertung von Chancen in Form einer, der Risikobewertung gleichenden, Matrix (Bild 2). Ein zukunftsorientiertes Managementsystem verlangt auch bei der Suche nach Chancen ein prozessbasiertes Vorgehen wie bei Risiken. Anders als bei der Priorisierung von Risiken nutzen wir bei Chancen die Parameter „Erfolg“ anstelle „Schadensausmaß“ und „Wahrscheinlichkeit der Realisierung“ anstelle „Eintrittswahrscheinlichkeit“. Die Chancen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Realisierung und einem zu erwartenden langfristigen Erfolg werden dann zu konkreten Zielen für die Fortentwicklung der Gesundheitseinrichtung.

Bild 2: Risiko- bzw. Chancen-Matrix

Die Überlegungen der Task Group zur Trennung der Verantwortlichen für das Managen von Risiken und denjenigen, die für das Chancenmanagement verantwortlich zeichnen, dürften sich im Hinblick auf die schwindenden personellen Ressourcen im Gesundheitswesen als derzeit unrealistisch erweisen.

Autor: Jürgen Hirschfeld, Koblenz

Literatur:

1. Gemeinsamer Bundesausschuss (2015): Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sowie zugelassene Krankenhäuser (QualitätsmanagementRichtlinie/QM-RL). Zuletzt geändert am 18. Januar 2024.

2. Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (2021): KTQ-Katalog Krankenhaus. KTQ GmbH.

3. Deutsches Institut für Normung e.V. (2015): Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen (ISO 9001:2015). DIN Media GmbH.

4. Deutsches Institut für Normung e.V. (2023): Medizinische Laboratorien – Anforderungen an die Qualität und Kompetenz (ISO 15189:2022). DIN Media GmbH.

5. Deutsches Institut für Normung e.V. (2018): Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien (ISO/IEC 17025:2017). DIN Media GmbH.

6. Adam, P. A. (2024): Risiken und Chancen integriert managen. Springer Gabler.

7. Deutsche Gesellschaft für Qualität (2024): Umgang mit Risiken und Chancen: DGQ und EOQ bei den Normenrevisionen ISO 9000 und 9001 aktiv. Link: Umgang mit Risiken und

Chancen: DGQ und EOQ bei den Normenrevisionen ISO 9000 und 9001 aktiv - DeutscheGesellschaft für Qualität

8. Deutsches Institut für Normung e.V. (2018): Risikomanagement – Leitlinien (ISO 31000:2018). DIN Media GmbH.

9. Österreichisches Normungsinstitut (2021): Risikomanagement für Organisationen und Systeme (ÖNORM D 4901). Quality Austria Holding GmbH.

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