Honorarverteilung: Von Fachärzten erbrachte Laborleistungen sind immer aus dem fachärztlichen Vergütungsanteil zu finanzieren


Leitsätze:

Die Gesamtvergütung muss getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung verteilt werden. Von Fachärzten erbrachte Leistungen – auch Laborleistungen – sind immer aus dem fachärztlichen Vergütungsanteil zu finanzieren, auch wenn sie der hausärztlichen Versorgung dienten und deshalb im weiteren Sinne als hausärztliche Leistungen angesehen werden könnten.

Aus der Heranziehung der Hausärzte zur Finanzierung des Labordefizits in einem Umfang, der ihren Anteil an der Erbringung von Laborleistungen deutlich überschreitet, ergibt sich nicht die Rechtswidrigkeit des angefochten Honorarbescheids, wenn dieser Zustand nur für ein Quartal besteht.

Die am vertragsärztlichen Vergütungssystem beteiligten Gremien haben eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht (Nachbesserungspflicht) mit Blick auf Leistungsverlagerungen oder Honorarverwerfungen. Eine Reaktionspflicht entsteht aber erst, wenn verlässlich feststeht, dass diese nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft (über mehrerer Quartale) eingetreten sind.

Sachverhalt:

Eine Berufsausübungsgemeinschaft mit zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Allgemeinmedizinern klagte gegen die Honorarverteilung für das Quartal IV/2015, insbesondere gegen die Nachfinanzierung der Unterdeckung im Grundbetrag „Labor“ aus dem hausärztlichen Gesamtvergütungsanteil. Dieser Anteil sei unverhältnismäßig groß und somit rechtswidrig gewesen. Das sei nicht mit dem aus § 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V folgenden Grundsatz der strikten Honorartrennung zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung zu vereinbaren.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors zur Ausgleichsfinanzierung des Labordefizits sei rechtswidrig, weil sie dazu führe, dass Mittel der hausärztlichen Vergütung unzulässigerweise zur Finanzierung von Laborleistungen der Fachärzte eingesetzt würden. Denn während der Unterschuss etwa zur Hälfte zulasten des hausärztlichen Versorgungsbereichs finanziert werde, würden nur ca. 16 % des Grundbetrags „Labor“ von Ärzten des hausärztlichen Versorgungsbereichs beansprucht.

Das Sozialgericht Hannover hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung:

Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Der im streitgegenständlichen Quartal geltende Honorarverteilungsmaßstab verweise vollinhaltlich auf die „Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemäß § 87b Abs. 4 SGB V zur Honorarverteilung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen“.

Die ab dem streitgegenständlichen Quartal geltenden Änderungen der KBV-Vorgaben sähen die Bildung eines Grundbetrags je Versichertem (u. a. für laboratoriumsmedizinische Leistungen) vor (Grundbetrag „Labor“), der außerhalb der Grundbeträge für den hausärztlichen und den fachärztlichen Versorgungsbereich festzusetzen sei. Sein Umfang bemesse sich nach dem entsprechenden Grundbetrag des jeweiligen Vorjahresquartals, der jeweils fortgeschrieben werde. Ergäbe sich in der Abrechnung des Quartals ein Unterschuss, werde der Grundbetrag angepasst. Die notwendige quartalsbezogene Finanzierung des Unterschusses erfolgten nach dem jeweiligen Anteil, der entsprechend dem angewandten Trennungsfaktor gemäß der bis zum 30.09.2013 gültigen KBV-Vorgaben, (allgemeiner Trennungsfaktor) auf den hausärztlichen bzw. fachärztlichen Versorgungsbereich entfalle.

Zwischen den Beteiligten sei unstreitig gewesen, dass im entsprechenden Quartal eine solche Nachfinanzierung erforderlich gewesen sei.

Das LSG war der Auffassung, dass die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors nicht zu einer rechtswidrigen Verminderung des hausärztlichen Vergütungsvolumens und so zu einem rechtswidrig zu niedrig bemessenen Honorar für den einzelnen Hausarzt führte.

Das Minderungsverbot des § 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V sei entgegen den Auffassungen der ersten Instanz und der beigeladenen KBV für den vorliegenden Fall einschlägig. Zwar handele es sich in strengem Sinne bei Laborleistungen weder um von Fachärzten erbrachte hausärztliche Leistungen noch um von Hausärzten erbrachte fachärztliche Leistungen. Denn im EBM fehle eine eindeutige Zuweisung der Laborleistungen zum hausärztlichen oder fachärztlichen Versorgungsbereich. Würde man als „hausärztliche Leistung“ alle von Hausärzten und als „fachärztliche Leistung“ alle von Fachärzten erbrachte Leistungen ansehen, gäbe es von vornherein keine von Hausärzten erbrachten fachärztlichen Leistungen (und umgekehrt). Die Vorschrift sei nach ihrer Zweckrichtung aber als Klarstellung anzusehen, dass von Fachärzten erbrachte Leistungen – auch Laborleistungen – immer aus dem fachärztlichen Vergütungsanteil zu finanzieren seien, auch wenn sie der hausärztlichen Versorgung dienten und deshalb im weiteren Sinne als hausärztliche Leistungen angesehen werden könnten. Das gleiche gelte für den umgekehrten Fall.

Die von der beklagten KV mitgeteilten Zahlen legten zwar nahe, dass die Hausärzte in Niedersachsen in einem Umfang zur Finanzierung des Labordefizits herangezogen wurden, der ihren Anteil an der Erbringung von Laborleistungen deutlich überschreite. Daraus ergäbe sich jedoch nicht die Rechtswidrigkeit des angefochten Honorarbescheids.

Denn es bleibe dem Gestaltungsspielraum der KBV überlassen, in welcher Weise sie das Vergütungsvolumen für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung in ihren Vorgaben an Leistungsverlagerungen zwischen dem haus- und fachärztlichen Versorgungsbereich anpasse. In Betracht kommt deshalb auch die – von der Klägerin angestrebte – Veränderung der Trennungsquote für die Defizitfinanzierung des Grundbetrags „Labor“.

Allerdings setze eine Anpassung voraus, dass ein entsprechender Anpassungsbedarf erwiesen sei. Dafür müssten valide Indikatoren bekannt sein, die sich auf mehrere Quartale beziehen müssten. Denn eine Reaktionspflicht der am vertragsärztlichen Vergütungssystem beteiligten Gremien werde erst angenommen, wenn verlässlich feststehe, dass Leistungsverlagerungen oder Honorarverwerfungen nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft eingetreten sind. Valide Indikatoren lagen im Quartal IV/2015 jedoch noch nicht vor.

Der Einräumung einer Reaktionszeit könne auch nicht entgegengehalten werden, auf eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht komme es nicht an, weil die Anwendung eines die Leistungsmengendynamik nicht berücksichtigenden Trennungsfaktors der Systematik einer Trennung der Gesamtvergütung in einen haus- und einen fachärztlichen Versorgungsanteil widerspreche. Denn die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors durch die KBV ist nicht von vornherein systemfremd, sondern entspricht den bei der Trennung der Gesamtvergütung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Teil langjährig geltenden Grundsätze.

Auch aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit lasse sich nicht ableiten, dass der streitgegenständliche Honorarbescheid rechtswidrig sei. Dabei könne offenbleiben, ob dieser Grundsatz im vorliegenden Fall nicht ohnehin durch die spezialgesetzliche Regelung des § 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V verdrängt werde. Denn auch aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit würde sich für den Fall, dass die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors wegen der Möglichkeit inzwischen eingetretener Leistungsverlagerungen im Laborbereich nicht mehr rechtmäßig sein könnte, ergeben, dass insoweit zunächst eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht des Normgebers einzuhalten sei.

Praxistipp:

Diese Entscheidung stellt klar, dass die Gesamtvergütung getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung verteilt werden muss. Dabei sollen die von fachärztlich tätigen Ärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen nicht den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütungen und die von hausärztlich tätigen Ärzten erbrachten fachärztlichen Leistungen nicht den fachärztlichen Teil der Gesamtvergütungen mindern. Das gilt auch für Laborleistungen. Wenn Hausärzte in einem Umfang zur Finanzierung des Labordefizits herangezogen werden, der ihren Anteil an der Erbringung von Laborleistungen deutlich überschreitet, ist dies nicht per se rechtswidrig, falls nur ein Quartal betroffen ist. Sowohl die KBV als auch die KV haben als Normgeber eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht (Nachbesserungspflicht). Eine Reaktionspflicht der am vertragsärztlichen Vergütungssystem beteiligten Gremien entsteht aber erst, wenn verlässlich feststeht, dass Leistungsverlagerungen oder Honorarverwerfungen nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft eingetreten sind. Das erfordert die Beobachtung mehrerer Quartale, also mindestens zweier Quartale. Eine Korrektur kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts selbst dann regelmäßig nur für die Zukunft gefordert werden. Im Ergebnis hat ein Vertragsarzt keinen effektiven Rechtsschutz gegen eine Honorarverteilung, die gegen Vorgaben des SGB V verstößt, wenn sich dieser Verstoß nicht über mehrerer Quartale erstreckt. Aus dem Grundgesetz (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1) wird der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit abgeleitet. Ob das in § 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V geregelte Trennungsgebot bzw. Minderungsverbot als Spezialvorschrift ggf. dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit vorgeht, hat das LSG offengelassen. Denn auch bei der Bewertung nach dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit ist zunächst die oben diskutierte Beobachtungs- und Reaktionspflicht des Normgebers einzuhalten.

Datenschutzhinweis

Um unsere Website zu verbessern und Ihnen ein großartiges Website-Erlebnis zu bieten, nutzen wir auf unserer Seite Cookies und Trackingmethoden. In den Privatsphäre-Einstellungen können Sie einsehen, welche Dienste wir einsetzen und jederzeit, auch durch nachträgliche Änderung der Einstellungen, selbst entscheiden, ob und inwieweit Sie diesen zustimmen möchten.

Notwendige Cookies werden immer geladen